Buchtipp: "Drohnenland" von Tom Hillenbrand
03. August 2014 14:43 - gehört zu: Büchertipps

Tom Hillenbrand war mir als Autor, ehrlich gesagt, bislang überhaupt kein Begriff. Sein bisheriges Oeuvre hätte auch nicht vermuten lassen, dass so ein Roman kommen würde, denn bisher hat er vor allem kulinarische Krimis und satirische Bücher geschrieben. Dass ich auf "Drohnenland" überhaupt aufmerksam wurde, verdankt sich zwei Umständen: erstens dem, dass ich auf der Rückfahrt von meinem Seminar bei der Bastei-Lübbe-Academy genug Zeit hatte, um in der Buchhandlung am Kölner Bahnhof zu stöbern, und zweitens dem Titel. Das Cover ist zwar ein Hingucker, aber um ein Haar hätte ich es beim Hingucken belassen, denn aus der Ferne betrachtet dachte ich, es zeige eine stilisierte Schallplatte, und vermutete, das Buch drehe sich um die Lebenserinnerungen eines Plattenladenbesitzers oder dergleichen.
Aber das Wort "Drohnen", das ist nun mal ein Reizwort. Also nahm ich das Buch zur Hand, schlug es auf, las die ersten zwei Seiten und war einfach schon mal von der Schreibe gefesselt. Da wusste jemand, was er tat.
Das reicht mir bisweilen. Gekauft.
Worum geht es? Nun, auch "Drohnenland" ist in erster Linie ein Krimi und wird auch als solcher angepriesen – nur: er spielt in einem weit in der Zukunft liegenden, sehr düsteren Europa, und es geht darin um einen Fall, der – wichtig! – so auch nur in diesem Setting spielen kann. Das Europa, durch das wir uns in diesem Buch bewegen, ist eine weit über die heutigen Grenzen ausgedehnte, mächtige Union, die Kriege in Afrika und im Nahen Osten geführt hat; es wird angedeutet, dass es in Nordafrika darum ging, die Versorgung mit Solarenergie sicherzustellen. Am Rande erfährt man, dass viele arabische Länder radioaktiv verseucht sind, Spätfolgen des Einsatzes atomarer Waffen.
(Zunächst allerdings stolpert man vor allem darüber, dass der modische Mann in dieser Zukunft nicht mehr Krawatte trägt, sondern einen Steinkirk. Ich habe mich das ganze Buch über gefragt, ob das ein erfundenes Wort ist, aber inzwischen habe ich nachgeschlagen und siehe da, das Wort gibt es: Es bezeichnet einen der Vorläufer der heutigen Krawatten und war so bis etwa 1720 gängige Mode. Google wusste es. Aber ich war zu gefesselt von dem Roman, um die Lektüre dafür zu unterbrechen.)
Die Welt im "Drohnenland" ist faszinierend stimmig bis in die Details: Autos fahren selbstverständlich automatisch, wegen des Klimawandels regnet es fast ununterbrochen, der größte Teil von Holland ist überschwemmt – und sein Bier in der Kneipe zahlt man mit Hundert-Euro-Münzen.
Vor allem aber ist das Europa von "Drohnenland" ein Überwachungsstaat, gegen den sich Orwells "1984" ausnimmt wie ein Kindergarten. Alles und jedes wird gefilmt, beobachtet und aufgezeichnet, von Milliarden großer, kleiner und kleinster Drohnen. Die gigantischen Datenströme werden von Künstlichen Intelligenzen ausgewertet und schaffen eine nahezu gottgleiche Allwissenheit, natürlich in bester Absicht, nämlich, der Bekämpfung von Verbrechen und Terrorismus dienend. Ein Mord ist typischerweise innerhalb von längstens 16 Stunden aufgeklärt. Umfassender Schutz, umfassende Sicherheit und umfassende Bequemlichkeit der Bevölkerung sind gewährleistet – wer braucht da noch so etwas Antiquiertes wie eine Privatsphäre?
Vor diesem Hintergrund wird eines Tages ein wichtiger Abgeordneter des EU-Parlaments ermordet, unter rätselhaften Umständen und ohne erkennbare Motivation. Und diesmal reichen sechzehn Stunden nicht, denn je länger die Untersuchungen dauern, desto mehr nehmen die Widersprüchlichkeiten und Unmöglichkeiten zu.
Die Geschichte von "Drohnenland" funktioniert auf allen Ebenen und liest sich enorm spannend, selbst für jemanden wie mich, der selten Krimis liest. Es ist erst Juli, aber ich bezweifle, dass mir in diesem Jahr noch ein besserer Science-Fiction-Roman unterkommen wird. Heftige Leseempfehlung deswegen für "Drohnenland" von Tom Hillenbrand, erschienen bei Heyne.