Beeindruckend: Aiki Mira, "Neongrau"

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Einer meiner Vorsätze für das neue Jahr ist, auf meiner Website öfters Bücher vorzustellen, die mich beeindruckt haben.

Der Roman, auf den ich Sie heute neugierig machen möchte, heißt »Neongrau - Game over im Neurosubstrat« und stammt von Aiki Mira, einer jungen Stimme der deutschen Science-Fiction, von der wir in Zukunft vermutlich noch viel hören werden. Wobei ich mit »neugierig machen« nicht meine, dass Sie das Buch blindlings bestellen, sondern dass sie einfach mal in die Leseprobe reinlesen sollen. Alles Weitere ist dann Ihre Entscheidung.

Mir ging es so, dass ich zuerst dachte: Och nee - es handelt von Gaming, Skating, Virtual Reality, synthetischen Drogen … von lauter Sachen, die mich so gar nicht faszinieren. Trotzdem konnte ich nicht aufhören zu lesen, was schon mal immer ein gutes Zeichen ist. Das, was mich faszinierte, war die Schreibe selbst – diese präzise Art zu beobachten, die Sicherheit bei der Wortwahl, die Musikalität der Sätze. Derlei finde ich selten. Ich fühlte mich an William Gibson erinnert, nur, sagen wir mal, frischer, moderner. Was einiges heißen will, sagt man William Gibson (das ist der, der in den 80ern den Begriff »Cyberspace« geprägt hat) doch gemeinhin nach, seiner Zeit stets um Jahrzehnte voraus zu sein.

Aiki Miras »Neongrau« ist unserer Zeit um hundert Jahre voraus. Der Roman spielt in Hamburg Anfang des 22. Jahrhunderts, und alles, was derzeit gerade schief zu gehen droht, ist schiefgegangen: Man hat sich mit dem Klimawandel mehr schlecht als recht arrangiert und bekämpft ihn mit Geo-Engineering, trotzdem steht die halbe Stadt unter Wasser. Terroranschläge sind an der Tagesordnung, staatliche Überwachung auch, Flüchtlinge sind in Massen unterwegs, und der Alltag der Menschen ist, gelinde gesagt, ein Albtraum. Das liest sich bestürzend glaubwüprdig, wie sich überhaupt das ganze Setting anfühlt wie ein hellsichtiger Blick in die Kristallkugel.

Da ich, wie gesagt, nicht aufhören konnte zu lesen, merkte ich bald, dass es in Wirklichkeit gar nicht um Gaming, Skating, Virtual Reality und synthetische Drogen geht, sondern dass ich ein Drama miterlebte, das natürlich, wie alle guten Dramen, von Liebe und Vergänglichkeit handelt, und ab da war klar, ich muss den Figuren, die Namen wie Stuntboi/Go und ELLL tragen, durch all die gewaltigen, dystopischen Bilder folgen, die der Roman aufspannt.

Beeindruckend visionär übrigens auch der Jugendslang jener Zukunft, den Mira mit leichter Hand und ganz nebenbei einfließen lässt. Es gibt auch ein Glossar, aber die Begriffe werden im Roman so gut eingebettet, dass man es eigentlich nicht braucht.

Also, wenn Sie schon immer mal etwas Ungewöhnliches lesen wollten, hier werden Sie fündig:

Aiki Mira
Neongrau - Game over im Neurosubstrat
Polarise, 2022, Paperback, 520 Seiten

"Beyond Tomorrow"

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Das hier dürfte eher etwas für richtige Hardcore-SF-Fans sein: Professor Ingo Cornils stammt aus Schleswig-Holstein, ist aber auf verschlungenen Lebenswegen an die University of Leeds, UK gelangt, wo er seit rund zwanzig Jahren Germanistik lehrt. Im Rahmen dieser Tätigkeit hat er nun eine Monographie mit dem Titel "Beyond Tomorrow. German Science Fiction and Utopian Thought in the 20th and 21st Centuries" veröffentlicht – was ich ehrlich gesagt nur deshalb weiß, weil er mich vor der Fertigstellung angeschrieben und mir ein paar Fragen gestellt hat, denn ich bzw. einige meiner Romane kommen in diesem Buch vor. Und nicht nur ich, sondern auch viele andere, die heutzutage in der Science-Fiction des deutschen Sprachraums unterwegs sind (und natürlich auch viele, die es waren). Ich habe erst angefangen zu lesen, aber es scheint mir eine äußerst kompetente, umfassende und vor allem aktuelle Darstellung der deutschen Science-Fiction zu sein. Wer weiß, wenn ich das Buch ganz gelesen habe, kenne ich mich vielleicht auch endlich aus … ;-)

Wer sich für so etwas interessiert, findet Weiteres unter dem direkten Link zum Verlag. Nicht erschrecken: Wie es sich für akademische Bücher gehört, ist der Preis heftig.

"NSA" bei "Druckfrisch"

Dem bekannten Literaturkritiker Denis Scheck hat »NSA« so gut gefallen, dass er mich für seine Sendung »Druckfrisch« interviewt hat, wie immer in dazu passendem Ambiente. Ich meine verstanden zu haben, dass unser Gespräch in der Sendung vom 7. Oktober zu sehen sein wird (ab 23:35 in der ARD), finde auf der zugehörigen Website allerdings noch keinerlei Hinweis darauf – also: wer weiß? Aber selbst wenn das Interview verschoben worden sein sollte, die Sendung lohnt sicher trotzdem.

Sowieso muss man heutzutage ja nicht mehr aufbleiben, wenn man nicht will; nach der Sendung sind alle Videos zumindest eine Weile im Archiv abrufbar.

Nachtrag: Aktueller Stand ist, dass das Interview in der Sendung am 28. Oktober erscheint.

Phantastischer Aufruf

Ein Glück, dass ich nicht in Wetzlar wohne! Dort gibt es nämlich die Phantastische Bibliothek – ein Gebäude, das von oben bis unten knallvoll ist mit praktisch allem, was je auf dem Gebiet der phantastischen Literatur in deutscher Sprache erschienen ist, vom Horror-Groschenheftchen bis zur Hochliteratur, von John Sinclair bis zu Grass' "Rättin", Fantasy, Science Fiction, Horror ebenso wie die klassischen Märchen und Sagen und jede sonstige Form phantastischer Literatur. Es ist die einzige öffentlich zugängliche Bibliothek dieses Sammelgebiets in Deutschland und mit 280.000 Titeln weltweit die größte. Und all diese Schätze stehen nicht etwa unberührbar hinter Glas, sondern sind zum Anfassen da, zum Aus-dem-Regal-nehmen und … lesen. Sitzgelegenheiten gibt es auch jede Menge; hier zum Beispiel der berühmte "Perry Rhodan"-Sessel, auf dem ich bei meinem Besuch letztes Jahr Platz nehmen durfte:

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(Tisch und Sessel bestehen übrigen aus Restbestands-Büchern, die ansonsten makuliert worden wären: Derartiger Umgang mit Druckerzeugnissen ist also nicht üblich, sondern war in diesem Fall eine kreative Recycling-Maßnahme. Wer die Bücher lesen will, findet sie alle auch im Regal.)

Wie gesagt: Ein Glück, dass ich nicht in Wetzlar wohne – ich fürchte, ich würde keine Zeile mehr schreiben, sondern nur noch von morgens bis abends in der Phantastischen Bibliothek sitzen und lesen. Wer je in die Gegend kommt, sollte sich einen Besuch auf keinen Fall entgehen lassen, und wer z.B. Literaturwissenschaft studiert und eine Arbeit schreiben will, die mit phantastischer Literatur zu tun hat, ist für ein Quellenstudium hier an der bestmöglichen Adresse.

Diese "spinnerte" Einrichtung ist eine eigenständige gemeinnützige Stiftung – und hat es wie alle Stiftungen in der heutigen Zeit der Minuszinsen nicht leicht. Einerseits wachsen die Aufgaben (und die Bestände – woran ich z.B. ja auch mit schuld bin), andererseits sinken die Einnahmen. Ihrer weiteren Arbeit könnte eine dicke Finanzspritze also guttun – und damit sind wir beim Thema:

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Viele namhafte Autoren, die – wie ich – dieser Bibliothek seit Jahren freundschaftlich verbunden sind, haben eine großangelegte Spendenaktion vereinbart, mit der wir die Phantasten in Wetzlar unterstützen wollen, und gemeinsam mit den anderen (wer das ist, erfährt man durch einen Klick auf obige Grafik oder unter http://spenden.phantastik.eu) bitte ich Sie um Ihre Mitwirkung. Wir wollen nicht mit der Höhe von Einzelspenden punkten, sondern mit der Anzahl der Spender, um zu zeigen, was die Gemeinschaft der Leser phantastischer Literatur auf die Beine stellen kann. Ich würde mich deshalb sehr freuen, wenn sich möglichst viele Besucher meiner Website beteiligen und eine Spende von 11,11 Euro überweisen würden: Ungefähr das also, was ein Taschenbuch kostet, keine große Ausgabe für den Einzelnen. Wir hoffen auf den aus den Märchen bekannten Effekt, dass viele dünne Haare, wenn es nur genug sind, miteinander verflochten auch ein dickes, stabiles Tau ergeben.

Das Stichwort "Haare" sei auch gleich die Überleitung zu einem speziellen "Goodie": Um denen, die gern mehr tun würden, einen Anreiz zu bieten, diesem Impuls zu folgen, haben verschiedene Autoren verschiedene Dinge mit Sammlerwert zur Verfügung gestellt, die unter denen verlost werden, die einen bestimmten, höheren Betrag spenden. Wie das genau funktioniert, ist auf der Seite mit den Goodies erklärt. Ich habe für die Aktion eines der Original-Typoskripte meines ersten Romans "Die Haarteppichknüpfer" zur Verfügung gestellt, das so aussieht:

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Die Geschichte dahinter ist folgende: Als ich damals den Roman fertiggestellt hatte, habe ich das Manuskript 7mal doppelseitig kopiert (was man nicht tun sollte, eine Manuskriptseite hat keine Rückseite) und im Copyshop binden lassen (was man erst recht nicht tun sollte) und diese 7 Bände dann mitsamt einem Begleitschreiben auf die Reise zu den Verlagen geschickt, bei denen ich mir eine Veröffentlichung vorstellen konnte (diesbezüglich hatte ich damals eine sehr elastische Phantasie). Damals war es noch üblich, Manuskripte bei Ablehnung zurückzuschicken, und da meine Verlagsliste natürlich weitaus mehr als 7 Namen umfasste, habe ich jedes Typoskript, das zurückkam, gleich wieder hinausgeschickt. Die meisten kamen irgendwann nicht mehr zurück, einige aber doch, und das am besten erhaltene davon kann nun gewinnen, wer € 99,18 an die Phantastische Bibliothek Wetzlar spendet, parallel dazu ein Mail hinschickt, dass man sich für das "Haarteppichknüpfer"-Typoskripts interessiert, und – Glück hat.

Die Aktion läuft bis zum 11. Oktober 2016. Ich drücke die Daumen.

Buchtipp: "Drohnenland" von Tom Hillenbrand

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Schon seit einigen Jahren fällt mir auf, dass immer mehr interessante, innovative und lesenswerte Science-Fiction-Romane von Autoren geschrieben werden, die nicht aus der sogenannten Science-Fiction-Szene stammen. "Der Schwarm" war so ein Fall, "Die Frau des Zeitreisenden" ein weiterer, und nun haben wir wieder einen solchen Kandidaten: "Drohnenland" von Tom Hillenbrand.

Tom Hillenbrand war mir als Autor, ehrlich gesagt, bislang überhaupt kein Begriff. Sein bisheriges Oeuvre hätte auch nicht vermuten lassen, dass so ein Roman kommen würde, denn bisher hat er vor allem kulinarische Krimis und satirische Bücher geschrieben. Dass ich auf "Drohnenland" überhaupt aufmerksam wurde, verdankt sich zwei Umständen: erstens dem, dass ich auf der Rückfahrt von meinem Seminar bei der Bastei-Lübbe-Academy genug Zeit hatte, um in der Buchhandlung am Kölner Bahnhof zu stöbern, und zweitens dem Titel. Das Cover ist zwar ein Hingucker, aber um ein Haar hätte ich es beim Hingucken belassen, denn aus der Ferne betrachtet dachte ich, es zeige eine stilisierte Schallplatte, und vermutete, das Buch drehe sich um die Lebenserinnerungen eines Plattenladenbesitzers oder dergleichen.

Aber das Wort "Drohnen", das ist nun mal ein Reizwort. Also nahm ich das Buch zur Hand, schlug es auf, las die ersten zwei Seiten und war einfach schon mal von der Schreibe gefesselt. Da wusste jemand, was er tat.

Das reicht mir bisweilen. Gekauft.

Worum geht es? Nun, auch "Drohnenland" ist in erster Linie ein Krimi und wird auch als solcher angepriesen – nur: er spielt in einem weit in der Zukunft liegenden, sehr düsteren Europa, und es geht darin um einen Fall, der – wichtig! – so auch nur in diesem Setting spielen kann. Das Europa, durch das wir uns in diesem Buch bewegen, ist eine weit über die heutigen Grenzen ausgedehnte, mächtige Union, die Kriege in Afrika und im Nahen Osten geführt hat; es wird angedeutet, dass es in Nordafrika darum ging, die Versorgung mit Solarenergie sicherzustellen. Am Rande erfährt man, dass viele arabische Länder radioaktiv verseucht sind, Spätfolgen des Einsatzes atomarer Waffen.

(Zunächst allerdings stolpert man vor allem darüber, dass der modische Mann in dieser Zukunft nicht mehr Krawatte trägt, sondern einen Steinkirk. Ich habe mich das ganze Buch über gefragt, ob das ein erfundenes Wort ist, aber inzwischen habe ich nachgeschlagen und siehe da, das Wort gibt es: Es bezeichnet einen der Vorläufer der heutigen Krawatten und war so bis etwa 1720 gängige Mode. Google wusste es. Aber ich war zu gefesselt von dem Roman, um die Lektüre dafür zu unterbrechen.)

Die Welt im "Drohnenland" ist faszinierend stimmig bis in die Details: Autos fahren selbstverständlich automatisch, wegen des Klimawandels regnet es fast ununterbrochen, der größte Teil von Holland ist überschwemmt – und sein Bier in der Kneipe zahlt man mit Hundert-Euro-Münzen.

Vor allem aber ist das Europa von "Drohnenland" ein Überwachungsstaat, gegen den sich Orwells "1984" ausnimmt wie ein Kindergarten. Alles und jedes wird gefilmt, beobachtet und aufgezeichnet, von Milliarden großer, kleiner und kleinster Drohnen. Die gigantischen Datenströme werden von Künstlichen Intelligenzen ausgewertet und schaffen eine nahezu gottgleiche Allwissenheit, natürlich in bester Absicht, nämlich, der Bekämpfung von Verbrechen und Terrorismus dienend. Ein Mord ist typischerweise innerhalb von längstens 16 Stunden aufgeklärt. Umfassender Schutz, umfassende Sicherheit und umfassende Bequemlichkeit der Bevölkerung sind gewährleistet – wer braucht da noch so etwas Antiquiertes wie eine Privatsphäre?

Vor diesem Hintergrund wird eines Tages ein wichtiger Abgeordneter des EU-Parlaments ermordet, unter rätselhaften Umständen und ohne erkennbare Motivation. Und diesmal reichen sechzehn Stunden nicht, denn je länger die Untersuchungen dauern, desto mehr nehmen die Widersprüchlichkeiten und Unmöglichkeiten zu.

Die Geschichte von "Drohnenland" funktioniert auf allen Ebenen und liest sich enorm spannend, selbst für jemanden wie mich, der selten Krimis liest. Es ist erst Juli, aber ich bezweifle, dass mir in diesem Jahr noch ein besserer Science-Fiction-Roman unterkommen wird. Heftige Leseempfehlung deswegen für "Drohnenland" von Tom Hillenbrand, erschienen bei Heyne.

Gratis-Aktion bei Perry Rhodan

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Ab heute, 3. April 2014, liegt die gesamte Perry Rhodan-Serie, jeder einzelne Band, als eBook vor. Damit ist das im September 2011 begonnene Projekt, die größte SF-Serie der Welt zu digitalisieren, abgeschlossen.

Um das zu feiern, kann man sich von heute bis zum 9. April 2014 den ersten Band des aktuell laufenden Zyklus, nämlich den von mir verfassten Band 2700 "Der Techno-Mond", auf allen einschlägigen eBook-Portalen kostenlos herunterladen.

Weitere Informationen finden sich auf der Perry Rhodan-Website.

Doch ein Wort der Warnung: Das könnte akute Lesesucht auslösen! Mir jedenfalls gefällt der neue Zyklus ganz hervorragend – was nichts damit zu tun hat, dass ich den ersten Band dazu schreiben durfte; ich wusste damals ja auch nicht, was noch kommen würde. Nein, es liegt einfach an der Geschichte, die sich da entfaltet und die so spannend ist, dass ich wieder ungeduldig auf die Fortsetzung warte. Und ich übertreibe nicht, wenn ich gestehe: Das letzte Mal, als mir das so ging, waren die Heftnummern noch dreistellig!

Lesetipp: Themsen, Verena, "An Arkons Wurzeln"

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Gestern habe ich den Roman "An Arkons Wurzeln" von Verena Themsen gelesen, Perry Rhodan Band 2744. Und war äußerst angetan. So angetan, dass es mich drängt, eine kleine Anmerkung dazu zu schreiben.

Verena Themsen ist eine relativ neue Autorin im Team der PR-Autorin; bisher war sie mir, ehrlich gesagt, nicht aufgefallen. Was an mir liegen kann, zugegeben, und sich auf jeden Fall mit der gestrigen Lektüre geändert hat.

Auf den ersten Blick und der Beschreibung nach hatte ich mit einem dieser Romane gerechnet, in denen es halt hin und her handelt, damit die Seiten gefüllt sind, wobei irgendwo ein für die weitere Serienhandlung wichtiges Detail eingebettet wird. Im Prinzip war das auch so – aber was die Autorin daraus gemacht hat! Einmal mehr kann man an diesem "Heftlesroman" sehen, dass es für den Lesegenuss nicht nur darauf ankommt, was jemand erzählt, sondern vor allem, wie es erzählt wird.

Der Roman spielt auf Arkon und handelt von einigen der letzten Arkoniden, die auf Geheiß des atopischen Richters ihr Heimatsystem räumen müssen. Was sie, verständlicherweise, ungern tun, weswegen sie nun dazu gezwungen werden. Außerdem stellt sich im Verlauf der Handlung heraus, dass hinter dem Räumungsbefehl womöglich mehr stecken könnte, als es zunächst den Anschein hatte.

Das könnte man ziemlich dröge erzählen, und vergleichbare Episoden sind in der langen Geschichte der Serie auch schon oft ziemlich dröge erzählt worden. Doch nicht hier. Verena Themsen schildert die Welt der Arkoniden, mit ihrem hochkomplizierten Adelssystem und ihrem Stolz auf ihre lange, wechselvolle Geschichte, äußerst detailreich, geradezu liebevoll, und vor allem – das ist es, was mir so gefällt – großartig unaufdringlich. Da kommt nichts in plumpem "Ich erzähl euch jetzt mal was"-Ton daher, da wirkt nichts wie aus einem (in diesem Fall: imaginären) Reiseführer abgeschrieben, sondern all die vielen, vielen Details (auch über die Welt der Naat, übrigens) sind kunstvoll in die Handlung verwoben, werden so nebenbei eingeflochten, dass man es kaum merkt beim Lesen: genau so, wie es sein soll! Die Figuren, die, so vermute ich, wohl zu einem großen Teil durch das Exposé vorgegeben wurden, werden richtig lebendig, folgen ihren spezifischen Ängsten, Animositäten und Ambitionen, sind sich mitunter selbst ein Rätsel oder wissen nicht, wie ihnen geschieht: Das ist alles sehr faszinierend zu lesen. Gerade bei phantastischer Literatur ist es wichtig, dass die Figuren und die Welten, in denen sie sich bewegen, so real und greifbar, so "wirklich" wie nur möglich erscheinen, und das ist in diesem Fall hervorragend gelungen.

Chapeau, werte Kollegin!

(Anmerkung: Da die reitenden Kuriere mit dem jeweils neuesten Perry Rhodan-Band im Gepäck immer eine Weile brauchen, bis sie mich hier am Rand der Welt erreicht haben, dürfte dieses Heft schon aus dem Zeitschriftenhandel verschwunden und nur noch per Nachbestellung zu beziehen sein. Als eBook aber bleibt der Roman zeitlich unbegrenzt verfügbar.)

Buchtipp: Slawig, Barbara, »Flugverbot«

Ich werde oft gefragt, "was lesen Sie denn eigentlich so?". Die korrekte Antwort darauf wäre "alles Mögliche", aber erstens ist das reichlich unpräzise und zweitens ist natürlich auch nicht alles, was ich lese, des Weitersagens wert. An meinen Lesehighlights will ich den geneigten Besucher meiner Website aber von nun an – ab und zu – teilhaben lassen, und die diesjährige Buchmesse scheint mir ein passender Anlass, mit diesem Projekt zu beginnen. Erwarten Sie hier also in Zukunft ab und zu Buchtipps wie den folgenden, lassen Sie sich dadurch zu Entdeckungen verleiten – aber bewahren Sie sich Ihr eigenes Urteil: Was mir gefällt, muss Ihnen nicht zwangsläufig auch gefallen. Und was mir nicht gefällt, wird hier nicht auftauchen.

Genug der Vorrede. Es war, wenn ich mich recht entsinne, um das Jahr 2000 herum, als plötzlich eine neue Stimme in der deutschsprachigen SF auftauchte – und ich sage absichtlich Stimme und nicht einfach nur Name, denn neue Namen tauchen immer wieder auf in diesem Genre, aber nicht immer hinterlassen sie bei mir einen nachhaltigen Eindruck.

Alles begann, wie so oft, damit, dass mich ein Verlag bat, ein Manuskript zu lesen und, bei Gefallen, ein Statement abzugeben, das man auf die Rückseite des gedruckten Buches setzen könne, zu Werbezwecken. Ich hatte Zeit und Lust dazu, sagte aber wie immer dazu, loben würde ich es nur, wenn es mir auch wirklich gefiele, und mir zu gefallen sei nicht leicht.

Das Manuskript kam, ich begann zu lesen. Und ich weiß noch wie heute, wie mich schon auf den ersten Seiten jenes Gefühl befiel, das ich beim Lesen suche und so selten finde: jenes Gefühl, das einen veranlasst, leise »Wow« zu sagen.

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Dabei geschah auf diesen ersten Seiten nichts sonderlich Aufregendes. Der Erzähler ist gerade mit einer Raumfähre auf einem Planeten namens Jargus gelandet, steht in der Schlange vor dem Einreiseschalter, hinter einem dicken Touristen mit einer am Kragen aufgeplatzten Jacke und einer aufdringlich lauten Stimme, über den er sich ärgert.

Und ich dachte: Wow. Ja, so wäre es. Wir würden Lichtjahre überwinden, die Abgründe zwischen den Sternen, und uns immer noch ärgern über nervige Mitmenschen.

Im Weiterlesen wurde mir klar, dass ich SF von jener Art in Händen hielt, die ich schon immer gesucht hatte, ohne es zu wissen.

Warum habe ich Wow gesagt? Nicht, weil mir hier das noch größere galaktische Imperium vorgesetzt wurde, die noch krassere Gefahr für alles Leben im Universum oder was einem sonst gern so als angeblicher sense of wonder angedreht werden soll, sondern weil das alles eben gerade nicht der Fall war. Ich las eine fiktive Geschichte in einer fiktiven Zukunft, die auf einem Planeten spielte, den man vor sich sah, den man riechen konnte, anfassen, schmecken, eine Geschichte mit Figuren, die wie echte Menschen waren, keine Versatzstücke aus einschlägigen Fernsehserien. Und all das geschrieben in einer fein beobachtenden, nuancierten, genauen Sprache, mit einem Gefühl für Zwischentöne in Beziehungen und Gefühlen, unaufdringlich, lebendig und, soweit das bei Science-Fiction möglich ist, wahrhaftig.

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Die Rede ist von Barbara Slawig und ihrem Roman »Die lebenden Steine von Jargus«. Die Geschichte ganz kurz: Ein Kommissar kommt nach Jargus, einem Planeten, auf dem man geheimnisvolle Silikonlebensformen erforscht, trifft eine rätselhafte Frau, verliebt sich in sie und wird dadurch in eine politische Intrige verwickelt. Das Ganze spielt vor dem Hintergrund eines von Terra dominierten Sternenreiches, von dem sich einige rebellische Welten, darunter eben Jargus, vor einiger Zeit losgesagt haben – zum Missfallen der Zentralmacht, selbstverständlich.
Der Roman ist seinerzeit im Haffmanns Verlag erschienen, hat aber beklagenswert wenig Resonanz ausgelöst (trotz meiner lobenden Worte auf der Buchrückseite), und so ist es kein Wunder, dass der deutschsprachigen SF diese Stimme, wie es scheint, wieder verlorengegangen ist: Slawigs neuester Roman »Visby« ist ein Familiendrama mit Thriller-Elementen, die Suche einer Frau nach ihrer Kindheit und ihrer Identität, sehr beklemmend und realistisch, aber eben SF-frei.

Doch nun ist ihr SF-Roman unter dem (ursprünglich von der Autorin gewünschten) Titel »Flugverbot« wieder erhältlich, und zwar neu aufgelegt vom Golkonda-Verlag, was, betrachtet man das anspruchsvolle Programm dieses Berliner Verlages, an sich schon eine gewichtigere Empfehlung ist als die, die ich hiermit für dieses Buch ausspreche.

Ein Buchtipp für Selfpublisher

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Ich selber bin bekanntlich kein Selfpublisher, aber Besitzer eines Kindle und interessierter Konsument auch selbstpublizierter eBooks. Das Faszinierende an Büchern, die von ihren Autoren in Eigenregie veröffentlicht werden, ist, dass man es mit Texten abseits der Filter von Verlagen und Medien zu tun bekommt. Ein bisschen wie die Leserbriefspalte in der Zeitung: Die lese ich auch immer gern, einfach aus dem Grund, dass sie so anders klingt als der Rest des Blattes. Genau wie auf Leserbriefseiten findet man auch im Selfpublishingbereich natürlich viel hanebüchenes Zeug – aber eben nicht nur, und was auch immer man findet, es ist unverstellt, direkt, ungeschminkt gewissermaßen. Und das hat was. Mehr denn je, seit man dank Leseprobenfunktion die Spreu leicht vom Weizen trennen kann und selbstpublizierte Bücher, früher stets schmerzhaft teuer, dank der elektronischen Form überaus erschwinglich geworden sind.

Aus eigener Erfahrung kann ich zum Selfpublishing nichts sagen, aber ich mache mir trotzdem meine Gedanken zum Thema. Und einen Buchtipp für Selfpublisher habe ich auch zu bieten.

Wie das Universum verständlich wird

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Perry Rhodan-Heft Nummer 2668, das offiziell am kommenden Freitag, dem 5. Oktober, erscheint (vielerorts aber vermutlich schon heute oder morgen am Kiosk liegen dürfte), enthält den 460sten PR-Report, die naturwissenschaftliche Beilage, die vierwöchentlich erscheint, und in diesen Report wiederum habe ich mich gedrängt mit der Rezension eines Buches, das ich selbstverständlich auch den geneigten Besuchern meiner Website wärmstens ans Herz legen möchte. Die Rede ist von dem von Dr. Andreas Mücklich verfassten und im Eigenverlag herausgegebenen Buch "Das verständliche Universum".

In dem Buch geht es um die Welt des Allerkleinsten – Atome, Quarks, Quanten – und die des Allergrößten – Sterne, Galaxien, das Universum. Kosmologie und Quantenphysik also, die beiden Bereiche, zwischen denen sich alles Übrige abspielt. Bis mir dieses Buch mehr oder weniger durch Zufall in die Hand fiel, war ich eigentlich der Überzeugung gewesen, hierzu alles gelesen und verstanden zu haben, was man davon als Nichtfachmann so lesen und verstehen kann. Weit gefehlt! Nicht nur, dass ich nach der Lektüre dieses Buches vieles endlich verstanden habe, was ich bislang als "zu hoch für mich" aufgegeben hatte, je zu verstehen, nein, auch von vielen naturwissenschaftlichen Zusammenhängen, die ich schon zu kennen geglaubt hatte, habe ich dadurch ein neues und tieferes Verständnis gewonnen.

Das liegt daran, dass Andreas Mücklich (der Kernphysik und Kosmologie studiert und u.a. am CERN und am DESY gearbeitet hat) ein ausgesprochenes Talent besitzt, Dinge auf erfrischend andere und klarere Weise zu erklären als die vielen, vielen anderen Bücher, die es über diese Themen gibt und die sich alle mehr oder weniger ähneln. Mücklich verwendet fast immer eigene und oft verblüffende Beispiele, um Zusammenhänge aufzuzeigen, und wo er auf traditionelle Vorstellungen zurückgreift, gewinnt er ihnen neue Aspekte ab. Man merkt dem Buch an, dass sein Autor sein Fachgebiet nicht nur von Grund auf beherrscht, sondern auch liebt, und dass er andere wirklich daran teilhaben lassen will. Und das funktioniert – ich kann mich nicht erinnern, wann ich zuletzt ein Buch über Kernphysik, Quantenphysik, Astronomie oder Kosmologie gelesen habe, das mir derart viele und tiefe neue Einsichten gebracht hat. Nicht in diesem Jahrtausend auf jeden Fall.

Jeder SF-Fan, davon bin ich überzeugt, wird dieses Buch nicht nur mit Gewinn, sondern auch mit großem Vergnügen lesen. Dass es geeignet ist, SF-Autoren auf neue Gedanken zu bringen, sei nur am Rande erwähnt.

Hier die Daten: Andreas Mücklich, »Das verständliche Universum – Wie unsere Wirklichkeit entsteht«, BOD, 372 Seiten. Die gedruckte Ausgabe kostet € 24,90, die eBook-Ausgabe € 18,99. Auf der Website
www.das-verstaendliche-universum.de finden Sie alle Bezugsquellen verlinkt, erfahren mehr über das Buch und können auch viele Kapitel online lesen, anhören oder als Lesungsvideo sehen.

Buchempfehlung: "Gottes leere Hand"

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Meine von mir sehr geschätzte Kollegin Marianne Efinger hat unlängst ihren Roman "Gottes leere Hand" veröffentlicht, für den ich an dieser Stelle ein wenig die Werbetrommel rühren möchte: Da er bei einem eher kleinen Verlag erschienen ist, steht er in der Gefahr, nicht die Aufmerksamkeit zu erhalten, die er verdient.

"Gottes leere Hand" erzählt zunächst die Geschichte eines Mannes, der an der Glasknochenkrankheit leidet und der nach einem unerklärlichen Anfall akuter Atemnot ins Krankenhaus kommt – wieder einmal! –, um sich untersuchen zu lassen. Manuel Jäger, so der Name dieses Mannes, hat schon mehr Krankenhäuser von innen gesehen als ihm lieb ist. Eigentlich kennt er sich bestens aus – und hat trotzdem Pech, denn es ist die Schlechtwetterzeit kurz vor Weihnachten, alle sind überlastet, Fehler passieren und akkumulieren sich zu einer für ihn lebensbedrohlichen Situation.

Mit einigem Recht könnte man sagen, "Gottes leere Hand" sei der Roman zum Pflegenotstand, doch das greift zu kurz. Denn mit der Krankenschwester Dagmar Sternbühl begegnet Manuel eine Frau, die ihn geradezu schmerzhaft an Lenora erinnert, die große Liebe seines Lebens, den einzigen Menschen, der ihn je so akzeptiert hat, wie er nun einmal ist – und die er durch einen Autounfall verloren hat. So verdichtet sich in dem Mikrokosmos der Krankenstation und seines Leidens eine Situation, die ihn mit der Summe seines Lebens konfrontiert und eine Bilanz von ihm verlangt. Und auf dieser Ebene des Romans ist es die Geschichte eines Menschen, der nicht ohne die Hilfe der modernen Medizin leben kann, aber erkennen muss, dass er, so, wie diese sich entwickelt, auch nicht mehr mit ihr leben kann: Heutzutage würde jemand wie er per Frühdiagnostik erkannt und abgetrieben, bekäme also gar nicht mehr die Chance, zu leben. Doch Manuel hat gern gelebt, trotz allem, hat geliebt und Liebe erfahren und – nicht zuletzt gerade aufgrund seines Anders-Seins – das Leben vieler Menschen bereichert.

Der Roman ist weit mehr als eine Anklage der Zustände im Gesundheitswesen (so er überhaupt eine Anklage ist; eigentlich wird nur geschildert, wie es ist, und das, wie ich als Ehemann einer ehemaligen Krankenschwester sagen kann, äußerst wirklichkeitsgetreu): Die vordergründige Handlung lässt hindurchschimmern, dass in den Grenzbereichen zwischen Gesundheit, Krankheit und Tod noch andere, größere Kräfte am Werk sind, daß hier Gesetzmäßigkeiten gelten, die sich unserer Einflußnahme oder gar Kontrolle weitgehend entziehen. Und er lässt verstehen, dass man es sich mit der Bezeichnung "behindert" oft viel zu leicht macht.

"Gottes leere Hand" ist aus einer wahrhaft existenziellen Perspektive geschrieben, gänzlich unzeitgemäß im Hinblick auf die heutige Spaßkultur – und damit zeitlos, weil wahr. Es ist eine Lektüre, die einen fordert: Nicht etwa, weil der Roman schwierig zu lesen wäre - im Gegenteil, er saugt einen geradezu weg –, sondern weil man immer wieder nach Luft schnappen muss, einem immer wieder bewusst wird: Das betrifft auch mich! Und, auch das sei erwähnt, es ist eines jener Bücher, die man mehrmals lesen kann, und jedes Mal zerdrückt man mindestens eine Träne im Augenwinkel: Eine Eigenschaft, die ich persönlich sehr schätze an einem Roman.

Klare Empfehlung also: "Gottes leere Hand" von Marianne Efinger, erschienen als wunderschön gestaltetes Buch im Bookspot-Verlag, München, der in letzter Zeit durch mehrere interessante Veröffentlichungen aufgefallen ist.

Hardcover mit Lesebändchen,
ISBN: 978-3-937357-40-9,
377 Seiten, € 19,80.
Überall erhältlich, wo es Bücher gibt – vielleicht nicht vorrätig, das ist bei Büchern aus kleineren Verlagen nun einmal so, aber Ihr Buchhändler bestellt es Ihnen bestimmt gern.

Die Autorin lässt übrigens alle Erträge aus ihrem Buch der "ARCHE" zukommen, jener von dem Franzosen Jean Vanier gegründeten und mittlerweile weltweiten Bewegung von Gemeinschaften, in denen Behinderte und "Normale" zusammenleben.