Wie man die Handlung entwickelt
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Wie gehen Sie vor, wenn Sie einen Roman planen?
Vom allgemeinen zum Detail. Zuerst ist eine Idee da, die im Lauf der Zeit gewissermaßen Fleisch ansetzt. Irgendwann beginne ich, mir grob auszumalen, wie die Handlung laufen soll, welche Figuren vorkommen, was der Witz des Ganzen sein soll, das, was es die Mühe wert macht, den Roman zu schreiben beziehungsweise zu lesen. Wenn ich dann den Beschluß gefaßt habe, den Roman zu schreiben, erstelle ich detailliertere Pläne der Kapitel, was darin passiert, beschreibe die Figuren und Schauplätze und so weiter. Irgendwann fange ich an zu schreiben - und dann wird alles doch ganz anders...
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Gehören Sie zu den Menschen, die mit ersten Entwürfen, "Outlines" oder anderen Plänen arbeiten?
Nie ohne!
Eine grobe Outline zu haben, nimmt den Druck weg, das Ding als Ganzes im Kopf haben zu müssen, und ich kann mich ganz auf die anstehende Szene oder das anstehende Szenenstück konzentrieren. Wenn ich einfach so schreibe, wird es weniger dicht, meistens sogar dünn - und es kommt so eine Hektik in die Schreibe, aus Angst, die guten Ideen könnten einem entfleuchen, ehe man sie eingefangen hat. Eine berechtigte Angst.
Freilich gibt es diesen Grat zwischen Outline und zu-viel-planen, was dann wiederum den Dampf zu schreiben rausnimmt. Das ist wohl auch wieder eine eigene Kunst.
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Ich habe eine Grundidee, und kann daraus keine Geschichte machen. Im Grunde glaube ich den Rest der Fähigkeiten zu haben die ein Schriftsteller haben muss (Sprachliches Talent, Ergeiz und Durchhaltevermögen), nur das beschriebene Problem macht mir schwer zu schaffen, weil es wirklich mein Herzenswunsch ist Bücher zu schreiben. (Ein 14 Jähriger)
Du hast eine Grundidee. Der Sohn des Herrschers von Lemuria. Und was nun? Die Idee muß gewissermaßen "Junge kriegen". Dazu mußt Du Dich damit beschäftigen. Du mußt anfangen - zu träumen...
Zum Beispiel kannst Du Dir vorstellen, Du wärst dieser Sohn. Mal Dir aus, was für ein Leben Du führst als Sohn des Herrschers von Lemuria. Sicher eines im Luxus, aber auch ein eingeschränktes - schließlich sollst Du (vielleicht) der nächste Herrscher werden. Du hast Lehrer und Erzieher - aber vielleicht auch ein paar Freunde, die Deinem Stand eigentlich nicht angemessen sind? Bau Deine eigenen Freunde und Klassenkameraden in das Bild ein. Stell Dir die Bauten vor, die prachtvollen Statuen, die Schiffe im Hafen und ihre Segel, die wie Gold glänzen in der untergehenden Sonne... Stell Dir z.B. vor, wie Du durch geheime Gänge gehst, um den Palast zu verlassen und Deine Freunde zu treffen, wie Du mit ihnen unerkannt durch die Straßen der Stadt ziehst.
Und dann? Vielleicht entdeckt ihr etwas, von dem der Herrscher nichts weiß? Oder jemand entdeckt Dich - versucht, Dich zu entführen? Dir eine Falle zu stellen? Oder verpetzt Dich beim Herrscher, der Deine Aufsicht verschärft - worauf Du den Wunsch entwickelst, zu fliehen...
Und schon fängt eine Geschichte an. Ein paar Personen, eine bestimmte besondere Umgebung - daraus kann alles mögliche entstehen. Das liegt bei Dir. Bei Deiner Phantasie. Man kann es nicht machen, aber man kann den Boden dafür bereiten, daß es kommt.
Und wenn eine Geschichte Gestalt annimmt - ein faszinierender Vorgang, fast wie Zauberei - und sie dich begeistert, dann fang an, sie aufzuschreiben.
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Im aktuellen Spiegel steht ein Interview mit Donna Leon, in dem sie (mit anderen Worten freilich) sagt, daß sie die Geschichten wachsen läßt und sich vorher keinerlei Gedanken macht, was denn so passiert und wie es ausgeht.
Jo, jo. Das glaubt sie vielleicht, aber das ist nicht so. Das heißt für mich nur, daß sie nicht mitkriegt, wie es in ihrem Unterbewußtsein schafft. Alle Geschichten sind Koproduktionen von Unterbewußtsein und Wachbewußtsein, und sie müssen es sein, sonst taugen sie nichts. Reine Unterbewußtseinsgeschichten sind unzugänglich, und reine Wachbewußtseinsgeschichten sind stinkfad. Der springende Punkt ist, daß beide Kooperationspartner einander mit Material und Anregungen füttern und aufeinander hören müssen - Kooperation eben.
Ich habe bei derlei Äußerungen anerkannter Autoren immer das Gefühl, daß sie sich irgendwo auch stilisieren wollen. Nach dem Motto, "entweder man hat's, oder man hat's nicht, und ich hab's eben". Der Autor als Begnadeter, mit dem direkten Grad zu Gott - oder zur Quelle Aller Geschichten, je nachdem.
Wobei ja auch etwas daran ist - daß man ein gewisses Talent braucht. Aber das braucht man auch zum Goldschmied oder zum Hirnchirurgen, bloß daß die kein solches Aufhebens davon machen. Wenn man mal dreißig Romane geschrieben hat: klar kann man dann den nächsten schreiben, ohne sich vorher groß Gedanken zu machen, und es wird trotzdem was - weil einem bestimmte Dinge eben schon so in Fleisch und Blut übergegangen sind, daß man gar nicht mehr bemerkt, wie man sie tut. Aber für Beginners kann diese Idee verheerend sein, weil die denken: "Wenn ich's 'hab', dann gelingt mir mein erster Roman auf Anhieb, ohne daß ich groß planen usw. muß." Und dann gelingt er nicht, weil erste Romane NIE gelingen (auch der von Donna Leon nicht), doch der Beginner schlußfolgert: "Ach, ich 'habs' eben einfach nicht."
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Das, was der Fachmann die "Form des Romans" nennt, entsteht das bei Ihnen aus der Arbeit heraus? Als Autorin, die sich eigentlich jetzt an das zweite Buch machen müsste, interessiert mich das, weil es genau das ist, was mich im Moment davon abhält, erneut anzufangen: die Angst, Buch zwei wird ein Abklatsch von Buch eins, weil ich keine neue Form finden könnte.
Würde ich so sagen. Man denkt sich in Figuren und Handlung hinein, spielt mit Varianten, und irgendwann schält sich die diesem Roman gemäße Form (oder was man eben dafür hält) heraus. - Wobei man dann während des Schreibens nochmal Überraschungen erleben kann.
Buch 2 wird ein Abklatsch von Buch 1, wenn Sie dieselbe Geschichte nochmal erzählen. (Nur mit anderen Figuren, anderen Schauplätzen usw.)
Abgesehen davon müssen Sie es versuchen. Man löst keine schriftstellerischen Probleme durch Abwarten und Nichtstun.
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Wenn ich an eine Geschichte herangehe, dann plane ich und plane ich, und wenn dann alles steht, verwerfe ich es wieder, weil mir inzwischen schon wieder etwas (nur scheinbar?) Besseres eingefallen ist. Auf diese Weise komme ich gar nicht erst zum Schreiben.
Ja, man kann natürlich auch zu viel planen. Dann geht der "Dampf" verloren, man verfängt sich sozusagen im eigenen Kopf und es ist ein bißchen so, als habe man alle Bücher über den Kopfsprung gelesen, die es gibt, und darüber ist der Sommer vergangen. Oder man traut sich nicht mehr aufs Sprungbrett, weil man völlig konfus geworden ist.
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Wenn Sie anfängen, das erste Kapitel zu schreiben, haben Sie schon ein mögliches Ende im Kopf, oder zeichnet sich das erst im Lauf der Zeit ab?
Ich denke, man sollte, wenn man zu schreiben beginnt, zumindest zwei Ideen haben: eine Idee für den Anfang, und eine Idee für den Schluß. Alles dazwischen kann sich finden, aber der Anfang sollte einen Leser packen, und der Schluß - nun, das ist der Magnet, auf den sich alles zuentwickelt. Wenn man keine Idee für einen bombastischen Schluß hat, dann dümpelt die Schreibe so dahin, und mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit bleibt der Roman irgendwo stecken. Aus Treibstoffmangel gewissermaßen.
Was sich bei mir im Lauf der Zeit abzeichnet, ist der genaue Weg vom Anfang zum Schluß. Den habe ich - absichtlich - nicht schon mit langweilender Präzision ausgearbeitet. Eben damit das Schreiben auch aufregend bleibt.
Bei der SOLARSTATION war zuerst vage der Wunsch da, einen Thriller zu schreiben, der auf einer Raumstation spielt. Dann war die Idee für den Schluß da - der Ringkampf in Raumanzügen, und wie der Bösewicht durch das Sonnensegel schwebt... Und irgendwann war die Idee für den Anfang da, die Sexszene in Schwerelosigkeit, als eine skurrile Vowegnahme des Ringkampfes. Und dann entwickelte sich alles dazwischen.
Die Anfangs- und die Ende-Idee spannen den Bogen, sozusagen.