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Keiner außer Ihnen und mir weiß, dass ich schreibe. Ich schreibe heimlich. Das mag sich für Sie jetzt wahrscheinlich ziemlich bescheuert anhören, aber ich habe einfach Angst zu sagen: "Ich schreibe einen Roman." Jeder in meiner Umgebung würde mich einfach nicht mehr für voll nehmen und mir den Vogel zeigen, weil sie mich nicht verstehen. Vor allem, da ich ja nicht einmal Ergebnisse vorweisen kann. Ich bin ein Möchtegernschriftsteller. Und das versuche ich zu ändern, indem ich eine Kurzgeschichte in Alien Contact oder ähnlichen Magazinen veröffentlichen werde, damit ich sagen kann: "Hier, lest das: Ich bin ein Schriftsteller. Und jetzt spielt ohne mich Fußball, ich muss an meinem Roman arbeiten."
Guter Plan. Im Ernst. Machen Sie es genau so.
Diese Situation und diese Reaktion der Umgebung ist mir nicht unbekannt. In meiner Schulzeit wußte man zwar, daß ich schreibe, aber später an der Uni wußten meine Kommilitonen nichts davon, und ich habe mich gehütet, etwas davon verlauten zu lassen.
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Eine Frage hätte ich noch...(peinlich)....nicht das es mir ums Geld ginge, aber....ehm...(schwitz)...
Stop! Es ist nichts dabei, wenn es einem (auch) ums Geld geht. Schließlich muß man von etwas leben. Wenn man mit so einer Haltung ("nicht daß es mir ums Geld ginge") zu einem Verlag kommt, dann ziehen die einen knallhart über den Tisch. Dann verdient jeder an einem Buch, bloß der Autor nicht. Gute Arbeit ist gutes Geld wert - und umgekehrt: wofür kein Geld bezahlt wird, das genießt nicht wirklich Anerkennung. Ein Buch, das ein Verlag billig gekriegt hat, wird er nie so ausgiebig bewerben wie den teuren Einkauf aus USA.
...wie ist dieser Beruf denn so bezahlt? Also, ja sicher nicht bei allen gleich gut....aber so die Schriftsteller auf Ihrer Ebene?
Eigentlich ist Schriftsteller kein Beruf wie z.B. Friseur oder Feinmechaniker oder GmbH-Geschäftsführer. Es ist eher etwas wie Tennisspieler oder Formel-I-Fahrer: eine Karriere, in die man sich 100%ig hineinstürzen muß. Ein Friseur oder Feinmechaniker oder GmbH-Geschäftsführer kann um 17:00 heimgehen (na gut, der Geschäftsführer vielleicht erst um 21:00) und kann dann aufhören, Friseur oder Feinmechaniker oder GmbH-Geschäftsführer zu sein. Schriftsteller ist man den ganzen Tag, das ganze Jahr. Wenn man es ernst meint. Und das muß man, ab einer bestimmten "Ebene".
Und mit der Bezahlung ist es so ähnlich. Boris Becker und Steffi Graf haben verdient wie irre. Aber schon wenn man als Tennisspieler nur auf Platz 20 ist (was ja schon eine tolle Leistung darstellt), dann reicht es gerade so zum Leben. Ich bezweifle, daß es mehr als 30 Schriftsteller in Deutschland gibt, die deutlich mehr verdienen als ein leitender Angestellter von, sagen wir, DaimlerChrysler. Die meisten Schriftsteller schlagen sich mehr schlecht als recht durchs Leben.
Wenn man viel Geld verdienen will, sollte man etwas anderes machen. Am besten eine eigene Firma gründen. Schreiben sollte man nur, wenn man nicht anders kann.
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Und muss man viel schreiben?
Man muß überhaupt nicht schreiben. Man darf schreiben. Und das wird auch noch gedruckt - was kann schöner sein auf Erden?
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Man muß sich von dem Gedanken befreien, daß Schriftstellerei so etwas wie die Tür zum Garten Eden darstellt.
Bücher schreiben ist eine tolle Sache, das will ich auch mal ganz klar sagen. Ich genieße es absolut, morgens an meinen Schreibtisch zu gehen und zu wissen, daß ich nun den ganzen Tag damit verbringen werde, zu schreiben. Wenn dem so ist. An vielen Tagen muß man allerhand anderes Zeug machen.
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Für mich selbst habe ich außer meiner Magisterarbeit kaum etwas geschrieben, dass mich über Tage oder Wochen hinweg in die Sozialarmut hinter meinem Schreibtisch zwang.
Sollten Sie das Schreiben eines Romans so empfinden, kann ich Ihnen nur abraten, das tun zu wollen. Beim Schreiben ist es herrlich, allein zu sein. Was nicht heißt, daß einem nicht mal die Decke auf den Kopf fällt. Aber generell muß der Vorgang des Schreibens, des langen, ausdauernden Schreibens, als solcher erfüllend sein - ansonsten, warum sollte man das tun wollen? Um ein Buch hervorgebracht zu haben? Quatsch. Die Welt braucht nicht noch ein Buch. Es gibt genügend Bücher.
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Wie hatten Sie sich Ihre Schriftsteller Karriere ganz zu Anfang vorgestellt? Dachten Sie, Sie würden so reich werden wie die Rowling? Und würden Sie dann weiterhin Romane schreiben?
Als ich angefangen habe zu schreiben, war Mrs Rowling noch ein ziemlich junges Mädchen, und niemand hätte sich vorstellen können, daß ein Buch so erfolgreich werden könnte wie "Harry Potter". Insofern war das kein Vorbild. Ich hatte nur den Wunsch, es so weit zu bringen, vom Schreiben leben zu können, und das habe ich ja mittlerweile verwirklicht. Da mir das Schreiben Spaß macht, sehe ich keinen Grund, damit aufzuhören, am allerwenigsten aus dem Grund, reich zu sein.
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Früher habe ich gern geschrieben und nicht schlecht. Bis ich eines Tages eine "Entdeckung" gemacht hatte, dass viele (wenn nicht alle) Schriftsteller leiden an Depressionen oder Disharmonien im geistigen Bereich, viele enden das Leben per Selbstmord etc, darunter auch ganz grosse und gute Schriftsteller. Warum ist das so? Kann man durch das Schreiben geistig "durchdrehen"?
Ja, Sie haben recht, das ist in der Tat ein bemerkenswerter Zusammenhang. Wieviele Maler oder Musiker kennt man, die z.B. Selbstmord begangen haben? Da muß man schon lange grübeln, um auf ein paar Namen zu kommen. Schriftsteller dagegen - da fallen einem jede Menge ein. Warum das so ist, weiß ich allerdings auch nicht. Vielleicht schreibt man, um mit einer zu Depression neigenden Veranlagung zurechtzukommen. Das hieße, daß Ursache und Wirkung gerade andersherum sind, als Sie es vermuten. Man dreht nicht durch das Schreiben durch, sondern das Schreiben ist der Versuch, das Durchdrehen zu verhindern. Wenn man Schriftsteller persönlich kennenlernt, ist auch auffallend, wie viele davon ziemlich, naja, seltsame Typen sind. Aber wie die Zusammenhänge letztlich sind, kann ich, wie gesagt, nur vermuten.
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Ich verstehe nicht, weshalb manche Schriftsteller erfolgreich sind.
:-) Eine gute Frage!
Aus dem gleichen Grund, aus dem manche Popsänger erfolgreich sind und andere nicht. Bloß kennt auch diesen Grund niemand.
(Wüßte man, woran es liegt, gäbe es ja nur noch erfolgreiche Autoren, Popsänger usw.)
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Kann man in der heutigen Zeit eigentlich noch davon leben, Lyrik zu veröffentlichen?
Sie belieben zu scherzen. Man konnte
noch nie
davon leben, Lyrik zu veröffentlichen.
Wenn man die Definition dessen, was Lyrik ist, etwas weiter spannt, gibt es freilich eine Möglichkeit, vom Verfassen sich reimender Texte zu leben, und zwar gut: Songtexte! Wenn Sie womöglich ein bislang in sich schlummerndes musikalisches/kompositorisches Talent besitzen und entwickeln, dann eröffnen sich Ihnen Dimensionen, von denen selbst ein erfolgreicher Romanschriftsteller nicht zu träumen wagt.
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Was halten Sie von Schreibwettbewerben? Ich habe mit Kurzgeschichten an zwei Schreibausschreibungen teilgenommen. Hätte ich mir die Mühe vielleicht sparen sollen?
Nein, im Gegenteil. Nehmen Sie an so vielen Wettbewerben teil wie möglich. Der Gewinn eines angesehenen Wettbewerbs war schon für viele Autoren das Sprungbrett zu ihrer Karriere, und selbst wenn man nicht gewinnt (was ja meistens der Fall ist), ist es eine gute Übung, sowohl, was das Verfassen von Texten zu bestimmten Vorgaben anbelangt, als auch, was die Routine des Versendens eigener Sachen angeht. Und nach der soundsovielten Teilnahme sich plötzlich auf einem der namentlich genannten Plätze wiederzufinden, schadet dem Selbstvertrauen bestimmt nicht.
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Kann man sich als Schriftsteller weitestgehend schadlos (für die Karriere!?!?) von Lesungen fernhalten?
Ich denke, nein. Öffentliche Auftritte gehören zum Berufsbild. Ich würde so weit gehen zu sagen, daß ein Autor, der nicht lesen will, sich nicht mit der für diese Karriere notwendigen Entschlossenheit engagiert - und sich fragen sollte, welche Bedeutung das Schreiben wirklich für ihn hat, daß er gewissermaßen nicht wirklich dazu stehen will. Ich kenne einige Autoren, die nach Möglichkeit nicht lesen, aber keiner davon ist wirklich erfolgreich oder wirklich zufrieden damit, wie es läuft.
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Wie würde ein professioneller Agent auf die Einstellung des Autors, keine Lesungen abzuhalten, reagieren?
Verlage und Agenten akzeptieren das im Zweifelsfall. Aber Sie treten dadurch unweigerlich in die zweite Reihe, durch schiere Marktmechanismen.
Ein Beispiel: Angenommen, es gibt zwei Reiseschriftsteller, die ihre Abenteuer mit dem Einrad im Himalaya beschreiben. Der eine schreibt, veröffentlicht und sitzt zu Hause, der andere macht Lesungen, signiert, trifft Leute, hat auch mal jemanden in einer Lesung sitzen, der seinen Namen notiert, ihn weiterempfiehlt, der sagt, "den könnte mein Kumpel XY in seiner Talkshow auftreten lassen", und so weiter und so fort - Sie glauben doch sicher auch, daß dieser andere derjenige ist, der dem Publikum bei den Stichworten "Himalaya" und "Einrad" einfallen wird und zu dessen Buch sie im Zweifelsfall greifen. Und genauso wird ein Verlag im Zweifelsfall diesem Autor den Vorrang einräumen - bei der Programmplatzierung, der Werbung, der Startauflage, dem Hirnschmalz bei der Umschlaggestaltung und so fort.
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Eigentlich sollte ja das geschriebene Wort im Vordergrund stehen, oder? Nicht der Autor.
Ein hehres Bild, aber hey, wir sind im Unterhaltungsbusineß. Das geschriebene Wort bleibt, wenn Sie mal tot sind, aber bis dahin können Sie ihm ruhig ein bißchen unter die Arme greifen.
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Wie wichtig sind Lesungen? Gibt es am Ende sogar eine Art "moralische Verpflichtung" dazu gegenüber sich selbst?
Nein, von dieser Sichtweise halte ich nichts. Eine Lesung ist in erster Linie eine Begegnung mit Lesern und potentiellen Lesern und deswegen hilfreich, das Gefühl für die eigene Sprache und ihre Wirkung zu entwickeln. Sie merken beim Lesen - vor allem, wenn Sie oft die gleiche Passage lesen -, was ankommt und was nicht, wo Längen sind, die Sie bis dahin nicht bemerkt haben, welche Beschreibungen schal und welche farbig sind, und das alles hilft Ihnen in Ihrer eigenen Entwicklung.
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Da ich ein eher "schwieriger" Mensch bin und zu einer Art Sozialphobie neige, könnte ich mir niemals vorstellen, eine Lesung zu halten oder Bücher zu signieren. Sind dies nun Dinge die man als Schriftsteller tun m u s s und gehört das zwangsläufig zu den Werbestrategien der Verlage oder geht es auch ohne diese Aktionen?
Nein, muß man nicht. Man wird gefragt, ob man es tun möchte, und wenn ja, kommt man in ein Verzeichnis, das der Verlag an die Buchhändler schickt. Aber es gibt viele Autoren, die überhaupt nichts in diese Richtung tun (es gibt sogar Autoren, die nicht mal Fotos von sich machen lassen), und die trotzdem ihre Leser finden. Es ist sowieso fraglich, ob ein Autor zwangsläufig immer eine gute Werbung für seine Bücher ist, also sollte man sich vom Lustaspekt leiten lassen. Mir persönlich macht es meistens Spaß (außer, es kommt kaum jemand, und ich bin 500 Kilometer umsonst gereist), aber wenn es Ihnen keine macht, brauchen Sie es nicht zu tun. Davon brauchen Sie sich also nicht blockieren zu lassen.
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Es ist immer wieder schön etwas über Autoren zu erfahren deren Bücher man mag. Jedoch gibt es sicherlich auch Autoren die möchten das Ihre Bücher losgelöst vom Urheber gesehen werden.
Ja, eine hübsche Vorstellung, aber in Wirklichkeit wird KEIN Buch unabhängig vom Urheber gesehen. Wenn man ihn nicht kennt, spekuliert man über ihn. Schreiben ist nicht das Verfassen eines unabhängigen Werkes, Schreiben ist Kommunikation. Man muß sich selbst darin zeigen, um zu wirken.
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Was macht man, wenn man mehrere Talente hat und sich nicht entscheiden kann?
Oh je. In den meisten Fällen ist nichts verheerender für den Erfolg als viele Talente zu haben.
Aber es bereichert denjenigen, mehrere Talente zu haben und diese entsprechend verfolgen zu können. Davon profitiert dann auch die Arbeit an sich, da sie ja auch miteinander verbunden werden können.
Daß es bereichert, mehrere Talente zu haben, bestreite ich nicht. Aber für den Erfolg ist es hinderlich, das muß man ganz klar sehen. Steffi Graf ist nicht Weltranglistenerste geworden, weil sie gut Tennis spielte, nebenher Songs komponierte, Bücher schrieb, eine tolle Boutique führte und ein erfolgreiches Softwareprogramm entwickelte, sondern weil sie NUR TENNIS SPIELTE - acht Stunden am Tag, wenn's wenig war. Mir gefiel immer diese Anekdote: Als Steffi Graf zum ersten Mal im Urlaub an einen Südseestrand kam - Palmen, Wellen, Sonnenschein; das Paradies mit anderen Worten - betrachtete sie nur den Sand und meinte: "Hier könnte man toll Tennis spielen." Das sagt alles, oder? Die Konzentration auf eine einzige Sache, mit einer Intensität, die an Besessenheit grenzt (manchmal auch jenseits davon ist) - das ist es, was dazu befähigt, eine Spitzenleistung zu erzielen.
Für Schriftsteller mag das nicht ganz so krass gelten (immerhin kämpfen sie nicht gegeneinander, und eine Weltrangliste gibt es auch nicht), aber dennoch: Mit Verzettelung erreicht man nichts.
Man hat da allerdings auch keinen EInfluß darauf. Wenn man mehrere Talente hat, dann lebt man zerrissener, weil jedesmal, wenn man sich einer Sache eingehend widmet, die vernachlässigten Talente aufjaulen, zerren und ziehen... Da hat es jemand, der eindimensionaler angelegt ist, wesentlich einfacher: Der widmet sich einfach "seinem Ding", so lange, bis er vor Hunger ohnmächtig vom Stuhl kippt - oder ihn jemand wegzerrt.