Mythen
übers Schreiben
"Schriftsteller werden reich."
Die Wahrheit ist, dass die meisten
Schriftsteller nicht einmal notdürftig vom Schreiben leben
können. Verschiedene Untersuchungen ergeben immer wieder,
dass die Hälfte aller veröffentlichten Schriftsteller
weniger als 3000 € pro Jahr (!) verdienen, und man schätzt,
dass weniger als 100 Autoren in Deutschland vom Schreiben
allein leben können. Wobei Deutschland mit Österreich und
der deutschsprachigen Schweiz zusammen der drittgrößte
Buchmarkt der Welt ist; in kleineren Sprachräumen sieht es
noch wesentlich düsterer aus.
Wer reich werden will, gründet besser eine Firma, statt zu
schreiben. Richtig reich (reicher noch als die
vielbeneideten Top-Manager) wird man nur als -
erfolgreicher - Unternehmer.
"Schriftsteller werden berühmt."
Die Wahrheit ist, dass selbst Bestsellerautoren im Jargon
der Medien nur sogenannte "C-Promis" sind: Nur eine Meldung
wert, wenn man freien Platz füllen muss - allenfalls der
Tod des Autors ist eine Nachricht. Es gibt Ausnahmen
(Nobelpreisträger und einige wenige besonders
skandalträchtige Autoren oder besonders gut aussehende
Autorinnen), aber der normale Autor kommt in den
Medien so gut wie nicht vor. Und auf der Straße erkannt
wird er auch nicht.
Wer berühmt werden will, geht besser zum Fernsehen, statt
zu schreiben.
"Schriftsteller führen ein aufregendes Leben."
Die Wahrheit ist: Schriftsteller führen in
erster Linie ein einsames Leben. Man verbringt den
größten Teil seiner Zeit allein in einem stillen Zimmer und
schreibt. Und wenn man mit anderen zusammen ist, kann es
sein, dass das, was man geschrieben hat, so in einem
weiterarbeitet, dass man auch nicht so richtig da ist und
seltsame Blicke abbekommt.
Wer ein aufregendes Leben führen will, der macht besser
irgendwas anderes, als zu schreiben. Fast egal, was.
"Wer schreibt, der bleibt."
Die Wahrheit ist, dass die meisten Neuerscheinungen nahezu
Eintagsfliegen sind. Ein Taschenbuch, das sich nicht vom
Start weg gut verkauft, ist oft schon nach zwei, drei
Monaten wieder aus den Regalen verschwunden, ein Hardcover
bekommt ein halbes Jahr Zeit. Es leben noch eine ganze
Menge ehemaliger Bestsellerautoren, von denen inzwischen
kein einziges Buch mehr lieferbar ist. Die Zahl der Werke,
die nach hundert Jahren noch gelesen werden, ist gering.
(Obwohl es sie gibt. Sogar manche römischen Autoren -
Seneca, Flavius und so weiter - verkaufen sich heute, nach
zweitausend Jahren, immer noch gut.)
"Gedichte geschrieben zu haben ist ein Beweis für
schriftstellerisches Talent."
Die Wahrheit ist, dass fast jeder irgendwann
in seinem Leben eine Phase hat, in der er sich an Gedichten
versucht - meistens in jungen Jahren, wenn entweder heftige
Verliebtheit oder dunkler Weltschmerz das Daseinsgefühl
bestimmt. Die weitaus meisten dieser Werke werden versteckt
und irgendwann weggeworfen, und in der Regel nicht zum
Schaden der Literatur.
Soweit wäre das in Ordnung, würden nicht Verlage und
einigermaßen bekannte Autoren unablässig mit Gedichten von
Leuten bombardiert, die sich für verkannte Genies halten.
Sandra Uschtrin hat einmal zu Recht
darauf hingewiesen, dass Lyrik der bedeutendste Markt
der Belletristik wäre, wenn jeder, der Gedichte
schreibe, auch Gedichte läse. Da
aber noch nie ein Lyrikband in deutschen
Bestsellerlisten gesichtet wurde, kann man davon
ausgehen, dass beim Schreiben von Gedichten ganz viel
Selbstbetrug im Spiel ist: Sprich, die meisten, die
Gedichte schreiben, tun es, weil man so schön schnell
fertig ist und es einfach aussieht - ein paar Worte
dunkelsinnig zusammengesetzt, fertig. Aber ohne die
wirkliche Auseinandersetzung mit den Werken anderer -
ein Bücherschrank voller Gedichtbände, von Goethe und
Heine bis Kirsch und Rühmkorf, und Hunderte von
Gedichten, die man auswendig hersagen kann - ist das
im besten Fall eine Art Tagebuch mit anderen Mitteln.
"Man muss Hochliterarisches schreiben, alles andere
ist wertlos."
Die Wahrheit ist, dass man nur das
schreiben kann, was man auch liest. Und
man tut gut daran, sich hier nicht in die Tasche zu lügen:
Wenn sich in Schlafzimmer, Keller und Flur die Regale unter
Krimis biegen, dann zählen die drei Büchlein, die man im
Verlauf der letzten fünf Jahre aufgrund hymnischer
Besprechungen im Feuilleton gekauft und immer noch nicht
ganz gelesen auf dem Couchtisch drapiert hat, einfach
nicht: Dann sollte man sich, wenn schon, dem Schreiben von
Krimis widmen. Oder was immer es ist, das man
wirklich gern liest. Denn nur dafür hat man im
Lauf seiner Lesejahre das notwendige Gespür entwickeln
können.
Es gibt in jedem Genre ein paar richtig tolle Bücher und
jede Menge Mist - und das gilt auch für die sogenannte
"hohe Literatur".
"Es gibt geheime Tricks beim Schreiben."
Die Wahrheit ist: Nirgends liegt alles so offen zutage wie
bei einem geschriebenen Text. Er besteht einfach aus
aneinander gereihten Worten, und alles, was er an Wirkung
erzielt, verdankt er der Wahl und der Reihenfolge dieser
Worte. Nichts ist dahinter, nichts versteckt. Die Kunst des
Autors liegt einzig darin, die Worte so zu wählen und so
anzuordnen, dass sie beim Leser genau die Wirkung erzielen,
die sie erzielen sollen.
"Man kann nur schreiben, wenn man inspiriert
ist."
Die Wahrheit ist eher umgekehrt: Man wird nur inspiriert,
wenn man auch schreibt. Wobei es durchaus so ist, dass eine
Inspiration (man kann auch einfach sagen: eine
Idee) am Anfang steht. Eine Idee zu einer
Geschichte und der Wunsch, sie niederzuschreiben. Aber
Tatsache ist nun einmal, dass die Strecke zwischen diesem
Moment und dem fertigen Manuskript nicht immer nur ein
Spaziergang ist, sondern ziemlich oft auch einfach ziemlich
viel Arbeit. Und dass man zu der ursprünglichen
Idee noch ganz, ganz viele zusätzliche Ideen braucht - und
die kommen nicht vom Warten, sondern beim Schreiben.
"Wenn man den Roman fertiggeschrieben hat, schickt
man ihn am besten so schnell wie möglich an einen Verlag."
Besser nicht. Denn das ist nur die erste
Fassung, und "die erste Fassung ist immer Mist", sagt sogar
Hemingway, dessen erste Fassungen zweifellos besser waren
als vieles, was es heutzutage bis in den Druck schafft.
Nein, besser, man legt das Manuskript erst einmal eine
Weile beiseite, denkt an was anderes, "vergisst" es. Dann -
mindestens sechs Wochen später, besser noch nach drei
Monaten - holt man es wieder hervor und liest sich erst mal
durch, was man geschrieben hat. Meistens ist man dann
heilfroh, dass man das noch niemandem gezeigt hat. Man
streicht alles an, was so nicht bleiben kann, überarbeitet den Text. Dann
sucht man sich Menschen aus seinem Umfeld, auf deren
literarisches Urteil man etwas gibt (wenn man da in
seinem Umfeld nicht fündig wird, sollte man dieses um
eine entsprechende Gruppe erweitern, wie es sie fast
überall an Volkshochschulen und dergleichen gibt),
gibt es diesen zu lesen und hört sich aufmerksam und
ohne Rechtfertigungsversuche (denn später wird man als
Autor auch nicht dabei sein, wenn ein Leser das eigene
Buch liest, und wird also dann auch nicht erklärend
eingreifen können - d.h. es muss alles schon genau so
dastehen, wie man es gemeint hat!) an, was diese
sagen, lässt es geraume Zeit auf sich wirken und
überarbeitet den Text im
Lichte dessen noch einmal. Und vielleicht noch ein
paar Mal - so lange, bis man ehrlichen Herzens sagen
kann: Besser kann ich es im Augenblick nicht.
Dann erst sollte man in Erwägung ziehen, das Manuskript
Verlagen (oder Agenten) anzubieten.
"Wenn ein Verlag Autoren sucht, dann gibt er
entsprechende Inserate auf."
Es stimmt zwar, dass Verlage nach neuen,
vielversprechenden Autoren suchen - aber sie können sich
(zu Recht) darauf verlassen, bei vielversprechenden Autoren
(die ja auch Leser sind) bekannt genug zu sein, dass diese
ihnen ihre Manuskripte auch so anbieten. Hinter allen
Inseraten, in denen es heißt, "Verlag sucht Autoren",
verbergen sich sogenannte Druckkostenzuschussverlage, die
einem anbieten, das Buch zu drucken - wenn man dafür
bezahlt.
Das ist nicht grundsätzlich unseriös. Wer etwa seine
Diplom- oder Doktorarbeit zu drucken verpflichtet ist, wird
die Dienste solcher Firmen in Anspruch nehmen müssen.
Manche wollen auch einfach ihr Buch gedruckt in Händen
halten und im Freundeskreis verschenken und haben das
nötige Geld dafür - Autobiografien sind hier häufig,
Lyrikbände oder dergleichen. (Es sei darauf hingewiesen,
dass es für diejenigen, die mit Internet und Computer gut
umgehen können, inzwischen kostengünstige Alternativen bei
www.bod.de, www.lulu.com und anderen gibt.)
Unseriös wird es dann, wenn solche Firmen hoffnungsvollen
Autoren weiszumachen versuchen, sie könnten auf diesem Wege
die ersten Schritte einer erfolgreichen
schriftstellerischen Karriere tun. Das Gegenteil ist der
Fall: Ein einmal im Selbstverlag veröffentlichtes Buch
(denn um Selbstverlag handelt es sich hier) ist bei
richtigen Verlagen praktisch nicht mehr unterzubringen.
"Wer ein Buch veröffentlichen will, muss erst mal
dafür zahlen."
Das ist eine Legende, die die eben genannten
unseriösen Druckkostenzuschuss"verlage" nimmermüd
verbreiten. Die Wahrheit ist das genaue Gegenteil davon:
Tatsächlich kommt das Wort "Verlag" von dem Wort
"vorlegen", in dem Sinne von "vorschießen, vorfinanzieren".
Der Verleger ist seit jeher derjenige, der die Kosten für
den Druck und den Vertrieb eines Buches vorschießt, also
das finanzielle Risiko trägt. Dafür teilen er und der Autor
sich den Gewinn in einem bestimmten, vorher vertraglich
festgelegten Verhältnis.
Dringend zu empfehlen ist, dass ein Autor, der ein Buch
veröffentlichen will, sich erst einmal kundig macht
hinsichtlich der Spielregeln der Branche.
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